Interview vom Oktober 2019 mit der Regisseurin Jaqueline Kornmüller über die Happiness Machine mit dem Klangforum Wien
JK: Du hast zwei Leidenschaften in dir ausgeprägt, du bist Oboist und Fotograf. Wie greift das eine ins Andere?
MS: Man kommt prinzipiell nicht daran vorbei, dass beide Professionen in extrem unterschiedliche Alltagspraxen eingebettet sind aber auf den Ebenen von Ästhetik und künstlerischen Funktionsweisen gibt es eine Menge Synergien.
Einer der spannendsten Aspekte dabei ist natürlich die Relation von Bild zu Klang, wobei ich diese Frage hier nur subjektiv beantworten will denn über die Schnittmengen von bildender Kunst und Musik ist bekanntlich ausreichend an anderen Stellen geschrieben und geforscht worden.
Zuallererst bin ich als Musiker immer damit konfrontiert, dass sich hinter den Begriffenen Sound, Klang, Geräusch, Ton und letztendlich Musik im Grunde nur bewegte, unsichtbare Luftmoleküle verbergen. Jedoch findet unmittelbar bei der Produktion wie auch der Rezeption von Musik im Gehirn eine Verschränkung statt, die in uns etwas frei im Geist Schwebendes, Imaginäres erzeugt, das sich auf vielfache Weise aus dem Wahrnehmungsschatz unserer visuellen Organe zusammensetzt und in Echtzeit generiert wird. Bestimmt keine Fotografie aber dennoch etwas was dem Begriff Bild näher steht als dem Begriff Klang. Man könnte somit behaupten, dass Fotografie, also das Erzeugen von Bildern dort beginnt, wo Musik nach dem Eintreffen der Schallwellen im Innenohr ihr Ende findet. Denn dort beginnt die Übersetzung der Schwingungen in elektrochemische Impulse, aus denen unser Geist neue Inhaltsträger formt. Das interessiert mich deshalb, da auch die klassische Fotografie ein chemischer Prozess ist, welcher aus Lichtfrequenzen geordnete Farb- und Formelemente entstehen lässt.
Auf praktischer Ebene kommt hinzu, dass man sowohl als Musiker als auch als Fotograf zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein muss, um intuitive oder bewusst geplante künstlerische Ziele zu erreichen. Das klingt erst mal banal, es beschreibt aber im Idealfall einen nicht greifbaren "Echtzeit-Moment" in dem etwas extrem Erfüllendes steckt. Es ist jener Bereich, in dem für mich die größte Magie von darstellender Kunst liegt, nämlich jener "Flow-Moment" in dem man ganz im Jetzt lebt und den Rest der Gedanken die sich entweder mit Zukunft oder Gegenwart befassen verdrängt. Tatsächlich halte ich es für einen Ausnahmezustand des Bewusstseins, der sich dann einstellt, wenn man das "Programm" einer Komposition in Echtzeit in Schall verwandelt, oder eben mit der Kamera versucht im richtigen Moment zur richtigen Zeit am optimalen Ort zu sein um dann den besten Ausschnitt für ein Bild zu erschaffen, das von der Fülle des Verstandes im Hintergrund schon längerfristig konzipiert wurde. Lange Zeit galt die Beherrschung dieses Moments als ganz große fotografische Meisterschaft und sie ist wesensgleich mit dem Ziel eines Musikers im kurzfristig fokussierten Moment der Gegenwart dem Schall die optimale Form, den besten Ort auf der Zeitleiste zu verleihen. Somit wird folgendes klar : Die Oboe und eine Fotokamera sind gleichwertige Instrumente die sich irgendwo im Mikrokosmos der Synapsen umarmen und dort ineinandergreifen.
JK: Deine Reisen führen dich oft an die entlegendsten Orte. Die Fotos, die du heute hier zeigst stammen aus zwei unterschiedlichen Projekten, kannst du sie kurz vorstellen?
Heterotopia entstand in Zentralchina, eingeschlossen in der hochfrequenten Urbanisierungsmaschine Chongqings.
Ich würde den Ort nicht als entlegen bezeichnen. Er ist mit der europäischen Kultur nur sehr limitiert verbunden, deshalb empfindet man die Region eventuell als entlegen. Aus chinesischer Sicht ist es eine Boomtown, eine von der Regierung in Peking zentral geplante Urbanisierungszone in der mittlerweile 30 Millionen Menschen leben. Dennoch blickt man innerhalb dieser Megacity in das 19te und das 21ste Jahrhundert gleichzeitig, da die bäuerlichen Gesellschaftsstrukturen nicht einfach verschwinden, nur weil China zwischen 2011 und 2013 soviel Beton verbraucht hat wie Amerika im gesamten 20sten Jahrhundert. Es ist eine Stadt voller Gemüsebauern die von der Urbanisierungswelle überrollt wurden, ihre Lebensweise dennoch verteidigen und innerhalb der frei zugänglichen Freiräume der Stadt überall Gemüseäcker anlegen.
Was die Leute dort erschaffen ist Teil einer Utopie, ein Gegenentwurf zur vorherrschenden Gesellschaftsordnung, eine Rebellion gegen Autoritäten aber auch dem nackten Überlebensdrang geschuldet. Man findet Gärten neben der U-Bahn, unter Brücken, zwischen Stadtautobahnen, auf Hausdächern, direkt am Fluss und vor allem in brachliegenden Baugruben. Landeigentum ist in China nie privat, die bewirtschafteten Gemüsefelder sind allesamt in Staatsbesitz und Zwischennutzungszonen städtebaulicher Planungsräume, in denen die Gegenwart gerade stillsteht. Das Bebauen des Landes erfolgt ohne Genehmigung, wer erfolgreich sät darf auch ernten. Es besteht jedoch weder Anspruch auf Besitz noch auf Schutz der wachsenden Pflanzen. Verkauft wird Gemüse zumeist direkt auf der Straße, ganz ohne Kontrolle, Lizenzen und Vorschriften. Es entstehen „Unorte“ außerhalb der gewöhnlichen Ökonomie, welche die zu Ihrer Zeit vorgegebenen Normen nur zum Teil oder nicht vollständig umgesetzt haben. Sie funktionieren, wie auch die Menschen die sie erschaffen haben, nach vollständig autonomen Regeln innerhalb des Systems.
„Ozymandias“ entstand in Ordos, einer Wüstenstadt im Norden Chinas. Hier trifft "entlegen" auf jeden Fall zu, auf der Autobahn sind wir stundenlang nur an Kohlelastwagen vorbeigefahren. Es gab kaum Privatverkehr und mit dem Zug ist es eine langwierige Tagesreise von Peking Richtung Westen auf einer alten, langsamen Bahnstrecke. In Ordos liegen allerdings 199 Milliarden Tonnen Kohle, ein Sechstel von Chinas Reserven. Die örtliche Erschließungsbranche war daran interessiert das Kapital aus den enormen Rohstoffgewinnen in der Region zu binden, worauf man beschlossen hat, eine Neustadt für eine Million Menschen zu bauen. Es entstand Ordos – Kangbashi, eine zentralistisch geplante Neustadt inmitten der Bergbaugebiete der Wüste Gobi. Im Stil sowjetischer Planung findet man überlebensgroße Statuen, ausladende Plätze und futuristische Prachtbauten. Im Gegensatz zum Utilitarismus der generischen Städte Chinas erträumte man sich hier einen Themenpark mit Luxusvillen und futuristischen Repräsentationsbauten. Befeuert durch den Boom der lokalen Rohstoffindustrie, angeheizt durch blindes Vertrauen in Wirtschaftswachstum und gekoppelt mit der Arroganz des menschlichen Willens, explodierte im Schatten der Überheblichkeit lokaler Eliten zuerst der Reichtum und danach die Immobilienblase. Am Ende verfiel der Kohlepreis mit dem Niedergang der Schwerindustrie und einer neu verordneten Klimastrategie. Zur Zeit ist die Stadt nur zu 20% bewohnt und gilt als Chinas berühmteste „Ghost Town“.
Unfertige Hochzeitspaläste verwaisen neben Investitionsruinen berühmter Architekten im Wüstensand. Der Traum französischer Villen zerplatzt in überwachsenen Rohbauten und bereits errichtete Wohnburgen stehen menschenleer in der Steppe. Neu errichtete Skylines erstrahlen in grellem Neonlicht, doch sie sind potemkinsche Dörfer und Ursache einer exzessiven Spekulationswirtschaft. Es entstand ein architektonischer Exzess, eine urbane Landschaft, welche durch den Kapitalismus zum Sterben verurteilt ist. Skulpturen des öffentlichen Raumes werden zu Protagonisten eines surrealen Urbanisierungsgartens, bevölkert von gigantischen Teekannen, goldenen Kälbern, mystischen Elefanten und megalomanischen Reiterskulpturen. Apokalyptisch stehen sie als Wächter am Ende der Geschichte von Größenwahn und Ressourcenverschwendung.
Im Gegensatz zu Heterotopia beschreibt Ozymandias das Scheitern eines von wenigen Eliten geplanten und aus dem Ruder gelaufenen Wirtschaftssystems, in Heterotopia zeige ich ein Stück Hoffnung und Widerstand, einen lebendigen Gegenentwurf.
JK: Die Geschichte von Größenwahn und Ressourchenverschwendung begleitet dein Werk, woran arbeitest du gerade?
MS :Im Moment arbeite ich daran all diese Geschichten auf den Boden zu bringen um den öffentlichen Diskurs
anzuregen aber auch um daraus neu Projekte abzuleiten und hoffe damit nicht größenwahnsinnig zu erscheinen.