Die heterotopen Gärten von Chongqing



Distributed by Anzenberer Agency

Distributed by Anzenberger Agency

HETEROTOPIA
Chongqings utopische Gärten


Heterotopie: wirklicher Ort [...] der in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet ist, [...] tatsächlich realisierte Utopie, in der die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind [...]." Foucault, Michel: Andere Räume (1967)

Die Fotoarbeiten Markus Sepperers entstanden in der Megacity Chongqing, Chinas schnellst wachsender Metropole, einer riesigen Urbanisierungsmaschine am Zusammenfluss von Jangtsekiang und Jialing. In seinen Bildern entfaltet sich eine beeindruckende Form „anderer Räume“*. Es formieren sich Utopien ohne wirklichen Ort, entstanden durch das Aufeinanderprallen von high-speed Urbanisierung, Rebellion gegen Autoritäten, Transformation von Biografien, Binnenmigration und Urban Gardening. Es zeigen sich Flecken auf Bebauungsplänen die in ihrer Flüchtigkeit auf Verletzlichkeit aber auch Insistenz des menschlichen Willens verweisen.

2015 besuchte Markus Sepperer mit Förderung des Bundeskanzleramtes Sektion Kunst und auf Einladung des Organhaus Artspace für drei Monate den 30 Millionen Einwohner zählenden Ballungsraum, wobei eine Serie von großformatigen Fotografien entstanden ist.
Chongqing gilt als die am stärksten wachsende Region der Welt, mit 1000 Zuwanderern täglich. Die vorwiegend landwirtschaftlich geprägte Region wurde in wenigen Jahren verbaut, Wanderarbeiter und Bauern aus allen Teilen Chinas ziehen in die Stadt. Landbewohner finden sich unmittelbar inmitten von Wolkenkratzern und Autobahnkreuzungen wieder um auch dort zu tun, was Ihre Identität formte – Das Bewirtschaften von Ackerland.

Folglich ist Chongqings urbaner Raum überall von landwirtschaftlichen Flächen durchzogen.
Man findet Gärten neben der U-Bahn, unter Brücken, zwischen Stadtautobahnen, auf Hausdächern, direkt am Fluss und vor allem in brachliegenden Baugruben. Landeigentum ist in China nie privat, die bewirtschafteten Gemüsefelder sind allesamt in Staatsbesitz und Zwischennutzungszonen städtebaulicher Planungsräume, in denen die Gegenwart gerade stillsteht. Das Bebauen des Landes erfolgt ohne Genehmigung, wer erfolgreich sät darf auch ernten. Es besteht jedoch weder Anspruch auf Besitz noch auf Schutz der wachsenden Pflanzen.

Die urbanen Gärten Chongqings sind ganz im Sinne einer Utopie Platzierungen ohne wirklichen Ort. In ihrer ordnungssystematischen Bedeutung durch Flüchtigkeit charakterisiert, sind sie auch „Unorte“, welche die zu Ihrer Zeit vorgegebenen Normen nur zum Teil oder nicht vollständig umgesetzt haben. Sie funktionieren, wie auch die Menschen die sie erschaffen haben, nach vollständig autonomen Regeln innerhalb des Systems.

Die mittels Nodalpunktadapter erstellten großformatigen Fotografien sind aus 24 Einzelbildern in 4 Reihen und 6 Spalten zusammengestellte Multi-Row Panoramen.
Am Computer werden die Einzelbilder mittels Spezialsoftware und Mercatorprojektion wieder zusammengefügt. Der manuelle Herstellungsprozess des Fotografierens erzeugt hohe Auflösung und Detailgenauigkeit. Gleichzeitig spiegelt der entstandene erweiterte Raum der Fotografie die fiktional-utopische Realität der Gärten. Sowohl die Legalität des Gemüseanbaus als auch die „Erschaubarkeit“ des fotografierten Motivs sind eine realisierte Illusion.

Markus Sepperer und Walter Steinacher, Wien 2016.


*In dem von Michel Foucault verfassten Essay "Des espaces autres" beschreibt der Philosoph die Gegenwart als nicht mehr von Themen wie Entwicklung, Stillstand, Krise, Zyklus oder auch Akkumulation des Vergangenen geprägt, sondern als das Zeitalter des Raumes. Für Foucault leben wir in einer Epoche der Gleichzeitigkeit und des Nebeneinanders.